LABEL 56 56ER UND IHR SCHREIBTISCH Frau Hartmann, Sie sagen: „Wissen baut das Schiff – Haltung bestimmt den Kurs.“ Was genau steckt hinter diesem Satz? Ich liebe dieses Bild, weil es so einfach und gleichzeitig so wahr ist. Wissen ist wie das Schiff: solide konstruiert, mit allem ausgestattet, was es braucht, um in See zu stechen. Wissen allein trägt uns heute nicht mehr. Die Welt hat sich verändert – die See ist rauer geworden, die Strömungen unberechenbarer, die Witterung un- beständiger. Wir stehen vor Herausforderungen, die es früher schlicht nicht gab. Erst die Haltung bestimmt, welchen Kurs wir einschlagen, wie wir auf Sturm reagieren, ob wir uns von jeder Welle treiben lassen oder bewusst steuern. Ich erlebe in Unternehmen ständig: Die Methoden sind da, die Strategien liegen in Schubladen, doch es fehlt die Haltung, sie im Alltag umzusetzen. Dann bleibt das Schiff im Hafen. Ihr eigener Kurs hat Sie von Heide in Schleswig Holstein bis nach Koblenz geführt. Was hat Sie geprägt? Es waren immer wieder neue Häfen: Hamburg, Allgäu, Mainz, Düsseldorf, – und schließlich Koblenz. Jeder Ort brachte neue Menschen, neue Dialekte, neue Denkweisen. Für mich hieß das: lernen, mich einzulassen, neugierig zu bleiben. Anpassungsfähigkeit war kein theoretisches Schlagwort, sondern tägliche Übung. Dieses Unterwegssein hat mir eine Gelassenheit ge- geben, die heute in meiner Arbeit Gold wert ist. Ich weiß: Veränderung ist kein Drama, sondern Normalität. Wie sind Sie eigentlich in den Vertrieb und später in die Beratung/ Coaching gekommen? „Schon in der Schulzeit habe ich auf dem Pau- senhof Schmuck verkauft – vielleicht ein erstes Anzeichen dafür, dass in mir eine Vertrieblerin steckt. Richtig gelernt habe ich es aber erst in der Touristik: Dort wurde mir klar, dass kein Reiseprospekt echte Begeisterung wecken kann, sondern nur ein Mensch. Später, in der Pharma- industrie, habe ich erlebt, wie komplex Märkte sind und wie sehr Vertrauen den Unterschied macht. Irgendwann wusste ich: Es geht mir nicht mehr nur darum, Produkte zu verkaufen, son- dern Menschen in ihrer Haltung zu begleiten. So führte mein Weg in die Beratung und Coaching.“ Sie arbeiten heute systemisch. Warum dieser Ansatz? Weil kein Mensch, kein Team, kein Unterneh- men isoliert funktioniert. Alles ist miteinander verwoben und jede Aktivität hat eine Wirkung im System zur Folge. Wenn ein Vertriebsleiter einsame Entscheidungen trifft, wirkt das auf die Stimmung im Team, die Stimmung wirkt auf den Kunden, und plötzlich bricht der Umsatz ein. Systemisch arbeiten heißt: das Ganze in all sei- nen Facetten der Wirkung erkennen. Das macht Lösungen nachhaltiger. Was bedeutet „Haltung erlebbar machen“ in einem Ihrer Workshops? Das heißt, weg von reinen Methoden, hin zu echten Erfahrungen. Ich lasse Teams Situationen durchspielen, in denen Haltung sichtbar wird: Eine schwierige Entscheidung, ein Kundenge- spräch, ein Konflikt. Die Teilnehmenden spüren sofort, wie sich das anfühlt – und merken: 36 F