LABEL 56 56ER UND IHR SCHREIBTISCH bekämpfen, sondern sie zu beobachten. Ich lasse sie zu. Ich nehme sie ernst. Und dann treffe ich eine Entscheidung. Nicht aus Angst, sondern aus Klarheit. Danach ist wieder Raum – für Mut. Für Neues. Was war bisher deine größte Herausforderung? Verantwortung. Nicht für mich – damit komme ich klar. Aber zu wissen, dass über dreißig Menschen ihr Gehalt erwar- ten, dass sie darauf bauen, dass ich die richtigen Entscheidungen treffe, das war zu Beginn unglaublich schwer. Ich war 22. Und plötzlich Chefin. Das war kein Titel, das war eine Verpflichtung. Aber ich bin gewachsen – an jedem Auftrag, an jedem Problem, an jedem Gespräch mit meinem Team. Heute weiß ich: Verantwortung trägt man nicht mit den Schultern, son- dern mit dem Herzen. Was treibt dich an, wenn du morgens aufstehst? Die Vorstellung, dass ich etwas bewegen kann. Dass ich für mein Team da sein darf, dass ich etwas erschaffe, das bleibt 40 – vielleicht nicht materiell, aber mensch- lich. Ich habe Ideen, viele sogar. Manch- mal zu viele. Dann muss ich gebremst werden. Aber dieser Drang, zu gestalten, zu verbessern, zu verbinden – der ist mein Motor. Ich sehe keinen Sinn darin, auf etwas zu warten. Ich will gestalten, nicht konsumieren. Wer ist dieser „Bremser“ in deinem Leben? Wolfgang. Mein Mitgründer und wichtiger Geschäftspartner an meiner Seite. Er ist deutlich älter als ich – ein Ruhepol in meinem stürmischen Kopf. Wir haben uns während meiner Ausbildung zur Immobi- lienkauffrau kennengelernt. Ich war 19, er hatte seine Firma in dem Jahr gegründet, in dem ich geboren wurde, exakt im April 1999, an meinem Geburtstag. Irgendwie schicksalhaft. Er war immer da, hat mei- ne Mails gelesen und korrigiert, mir Feed- back gegeben, meine Euphorie geerdet. Ohne ihn wäre ich heute vielleicht weiter – aber wahrscheinlich auch erschöpfter. Mit ihm bin ich stabiler. Weitsichtiger. Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei dir aus? Typisch ist nur eins: dass nichts typisch ist. Ich starte früh, oft mit einem Blick in mein Handy – nicht, weil ich will, sondern weil es nötig ist. Dann folgen Termine, Baustellenbesuche, Gespräche mit Kun- den, manchmal auch mit Behörden, viel Organisation. Ich bin viel im Auto, viel am Telefon, viel mit Menschen. Und abends? Da versuche ich, zur Ruhe zu kommen – gelingt mir nicht immer. Aber ich arbeite daran. Seit einiger Zeit habe ich sogar einen privaten Kalender. Für kleine Inseln im Alltag.